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    Was bedeutet Lokalisierung? Eine Spurensuche rund um den Globus

    Was bedeutet Lokalisierung? Eine Spurensuche rund um den Globus

    Lokalisierung – das ist zunächst einmal eine milliardenschwere Industrie.

    Steigt man tiefer in das Thema ein, stößt man aber auch auf faszinierende Beispiele kultureller Verständigung und eine Welt, die im Zuge der Globalisierung zwar immer stärker zusammenwächst, aber auch zunehmenden Spaltungen ausgesetzt ist.

    Dieser Artikel beantwortet folgende Fragen:

    • Was bedeutet Lokalisieren und wie unterscheidet es sich von einer reinen Übersetzung?
    • Gibt es standardisierte Prozesse, die Unternehmen dabei befolgen sollten?
    • Wie funktioniert Lokalisierung und für welche Branchen ist sie relevant?

    Was ist Lokalisierung?

    Lokalisierung bezeichnet die Anpassung von Produkten oder Dienstleistungen an die Besonderheiten verschiedener Zielmärkte. Diese zeichnen sich für gewöhnlich durch eine eigene kulturelle Identität aus. Das Ziel von Lokalisierung ist die Maximierung des geschäftlichen Erfolgs in der jeweiligen Region und die Steigerung der Akzeptanz der lokalisierten Produkte und Dienstleistungen.

    Die lokale Anpassung erfolgt dabei auf vielen verschiedenen Ebenen: Neben der Sprache sind auch das Produktdesign, das Marketing und rechtliche Aspekte zu berücksichtigen.

    Übrigens: Lokalisierung wird zuweilen auch mit „l10n“ abgekürzt, wobei „10“ die Anzahl der ausgelassenen Buchstaben bezeichnet.

    Unterschied zwischen Übersetzung und Lokalisierung

    Übersetzung bezieht sich auf den sprachlichen Aspekt der Lokalisierung.

    Dazu gehört die Übertragung von regionalen Ausdrucksweisen und Sprachgewohnheiten, aber auch Profanes wie die Lokalisierung von Maßeinheiten oder Währungen. Somit sind professionelle Übersetzende mehr als wandelnde Wörterbücher – sie sind „kulturelle Vermittler“, die mit ihrer Kommunikationskompetenz und Empathie wertvolle Berührungspunkte zwischen Kulturen schaffen.

    Muss ein Text für einen Zielmarkt nicht nur übersetzt, sondern stark adaptiert werden, nennt man das auch Transkreation. Dieser Service ist ideal geeignet für Marketing-, Werbe- und PR-Texte!

    Der Prozess der Lokalisierung geht über die reine Übersetzung hinaus und betrifft weitere Aspekte wie das technologische Fundament, grafische Elemente oder die gewählte Kommunikationsstrategie. Nicht selten werden dafür andere Teams eines Unternehmens ins Boot geholt, wie etwa das Desktop Publishing, das Marketing oder Software Development.

    Foreignization – das mysteriöse Pendant zur Lokalisierung

    Bei der Wahl des geeigneten Lokalisierungsansatzes wird stets – ob bewusst oder unbewusst – zwischen einer sogenannten Domestication und Foreignization entschieden. Diese Begriffe prägte der Translationswissenschaftler Lawrence Venuti in den 1990er Jahren.

    Dabei geht es um die Abwägung, ob man Konzepte, Traditionen und Begriffe der Ausgangskultur beibehält (Domestication), um die Stimmung und Atmosphäre der Originalversion einzufangen, oder ob man schwer verständliche Verweise auf die fremde Ausgangskultur ersetzt, indem man verwandte Konzepte, Traditionen und Begriffe der Zielkultur heranzieht.

    Gerade in Film und Literatur überwog lange der Domestication-Ansatz. Das Publikum sollte nicht „einem Übermaß an Fremdheit“ ausgesetzt werden. So kam es, dass etwa in einer alten deutschen Übersetzung eines Mickey-Mouse-Comics der der US-amerikanische „Lake Erie“ kurzerhand zum „Bodensee“ umfunktioniert wurde.

    Foreignization hingegen verkörpert unsere Faszination für das „Unbekannte“, die Sehnsucht, in fremde Welten mit all ihren Geheimnissen und Eigenheiten einzutauchen.

    Protagonists from the video game series Yakuza

    Japanische Computerspiele wie die Yakuza-Reihe sollen auch westlichen Gamern eine authentische japanische Spielerfahrung bieten. Deshalb stellt Foreignization hier eine geeignete Lokalisierungsstrategie dar (Bildquelle: Deviant Art)

    Globalisierung vs Internationalisierung vs Lokalisierung

    Im Kontext von Lokalisierung spricht man oft von der GILT-Industrie. Dieser Begriff steht für globalization, internationalization, localization und translation. Nachfolgend stellen wir diese vier Konzepte vor, mit denen alle global expandierenden Unternehmen vertraut sein sollten.

    Globalisierung (g11n) bezeichnet die Strategie, Produkte weltweit verfügbar zu machen, und umfasst auch Marketing- und Vertriebsaktivitäten. Im Grunde ist Globalisierung ein global ausgerichtetes Business-Mindset, auf dem die spätere Lokalisierung aufsetzt.

    Internationalisierung (i18n) gestaltet hingegen ein Produkt von Grund auf so, dass es anschließend per Lokalisierung (l10n) und Übersetzung leichter an eine andere Kultur oder Sprache angepasst werden kann. Studien zufolge kann eine Lokalisierung ohne vorherige Internationalisierung zweimal mehr Zeit in Anspruch nehmen und auch entsprechend satte Zusatzkosten verursachen.

    Lokalisierung in der Praxis

    Noch vor wenigen Jahrzehnten nahmen Unternehmen Lokalisierung regelmäßig auf die leichte Schulter. Die Herausforderungen einer Markteinführung von Produkten im Ausland waren wenig präsent. Oft erkannte man zu spät, wie sorgfältig dieser Prozess geplant werden muss – und dass das nötige Fachwissen dafür im eigenen Betrieb teils fehlte.

    Inzwischen holen Unternehmen für komplexe Lokalisierungsprojekte erfahrene Lokalisierungsagenturen wie Milengo an Bord. Diese sogenannten Multi-Language Vendors (MLVs) übernehmen einen Großteil der Lokalisierungsarbeit, während sich die Unternehmen selbst auf ihre Kerntätigkeiten konzentrieren können.

    Zentrale Tools und Technologien

    Zu Beginn der 1990er Jahre wurden erstmals Softwareprogramme entwickelt, die den gesamten Lokalisierungsprozess vereinfachen und beschleunigen sollten. Das umfasste etwa die Pflege von mehrsprachiger Terminologie, das globale Content-Management und die Verwaltung des gesamten Übersetzungsbestands. Die wichtigsten dieser Technologien sind heute:

    • Translation-Management-Systeme (TMS): TMS wie SDL Trados oder MemoQ helfen, Übersetzungen zu verwalten und die Konsistenz zu wahren. Sie sind besonders nützlich für große Projekte, die viele Dateien und Übersetzungsakteure involvieren.
    • Maschinelle Übersetzung und KI: Systeme wie Google Translate, DeepL und neuerdings auch ChatGPT liefern schnelle Übersetzungen, die durch menschliche Nachbearbeitung verfeinert werden können. So kann ein globaler Online-Händler seine Produktbeschreibungen schnell in viele Sprachen übersetzen und anschließend von Experten prüfen lassen.

    3 typische Beispiele für Lokalisierung

    Software

    Image a different apps

    Bildquelle: Unsplash

    Der Begriff Lokalisierung hat seine Wurzeln in der Software-Industrie.

    Die Softwarebranche schreibt der User Experience (UX) einen fast religiösen Stellenwert zu. Dementsprechend wird im Rahmen der Software-Lokalisierung die Erfahrung der Anwender von Markt zu Markt sorgfältig angepasst. Ein Beispiel einer solchen Lokalisierung ist Mikro-Content wie Datumsformate, Währungen und Maßeinheiten, die in der Softwareoberfläche auftauchen. Zu beachten sind allerdings auch viel weitreichendere Aspekte:

    • Leserichtung und Schriftzeichen: Arabische Schrift wird bekanntlich von rechts nach links gelesen. Software, die später international vertrieben werden soll, muss deshalb bereits von Anfang an ein solches Schriftsystem unterstützen. Glücklicherweise sind heute dank dem Zeichensatz Unicode Standard, der Doppelbyte-Zeichen unterstützt, fast alle Schriftsysteme auf dem Bildschirm darstellbar.
    • Farben müssen ebenfalls häufig kulturell angepasst werden, da sie in verschiedenen Ländern andere Assoziationen wecken. Das Gleiche gilt für Grafiken, Symbole, Fotografien und Piktogramme.
    • Für Lernapps oder Meditationsapps werden lokale Sprecher benötigt, deren Stimmpersönlichkeit und Sprechweise der lokalen Kultur entsprechen muss.

    Marketing und Werbung

    A person with sweat on their skin

    Bildquelle: Unsplash

    Werbung verlangt nach Aufmerksamkeit. Um (fast) jeden Preis.

    Doch ein Fehler bei der Lokalisierung genügt, um eine intendierte Werbewirkung zunichte zu machen.

    Oft liegt der Teufel dabei im Detail. Denn Marketing lebt auch von den feinen Zwischentönen, die gleichermaßen kulturadäquat übertragen werden müssen.

    Illustrieren wir diese Art von Content-Lokalisierung an einem Beispiel:

    Das Modeunternehmen Uniqlo instruiert seine russischen Übersetzer, eine direkte Bezugnahme auf das Wort „Schweiß“ (Ru.: пот, pot) zu vermeiden – selbst dann, wenn positive Produkteigenschaften wie die geringe Schweißbildung bei atmungsaktiven Funktionsklamotten beworben werden sollen. Tatsächlich ist die Erwähnung von Schweiß in der russischen Alltagskultur wenig gebräuchlich und kommt einem kleinen Tabubruch gleich.

    Für die Content-Lokalisierung setzt Uniqlo deshalb Umschreibungsstrategien ein. Dabei wird etwa auf intensive (und somit schweißtreibende) Workouts verwiesen oder Feuchtigkeit, die sich auf dem Stoff der Kleidung bildet.

    Zu guter Letzt soll lokalisierter Marketing-Content natürlich auch in Suchmaschinen im Zielmarkt ranken. Im Rahmen von internationalem SEO müssen deshalb Keywords für den Zielmarkt lokalisiert und in SEO-Übersetzungen implementiert werden. Denn das Suchverhalten von Nutzern kann von Land zu Land teils stark variieren – angefangen mit so Naheliegendem wie der Tatsache, dass Kunden von Uniqlo in Norwegen öfter nach Winterkleidung suchen werden als Kunden des Unternehmens in Spanien.

    Film und Fernsehen

    The starship Enterprise in front of the glowing cosmos

    Bildquelle: Deviant Art

    Das Weltall ist ein klitzekleines bisschen amerikanisch.

    Zumindest legt das das legendäre Intro der Science-Fiction-Serie Star Trek nahe, wo es heißt:

    Space: The final frontier. These are the voyages of the starship Enterprise. Its five-year mission: to explore strange new worlds; to seek out new life and new civilizations; to boldly go where no man has gone before!

    Tatsächlich ist die „final frontier“ hier eine subtile Anspielung auf die sogenannte American Frontier. Damit ist die Siedlungsgrenze gemeint, die während der Erschließung des nordamerikanischen Kontinents ab dem 18. Jahrhundert immer weiter nach Westen ausgedehnt wurde. Der amerikanische Expansionismus der Pionierzeit berief sich unter anderem auf Theorien wie die des Manifest Destiny, nach der Gott der neuen amerikanischen Nation das Recht verliehen hatte, den Kontinent in alle Himmelsrichtungen zu besiedeln und die eigene kulturelle Ideologie zu verbreiten.

    Mit seiner „final frontier“ stellt Star Trek – wenn auch indirekt – die Abenteuer der Enterprise mit dem Pioniergeist bei der Besiedelung des amerikanischen Kontinents in Beziehung. Dieser Subtext würde bei einem nichtamerikanischen Publikum ins Leere laufen. Für das deutsche Fernsehen übersetzte man deshalb freier:

    Der Weltraum. Unendliche Weiten.

    Diese Phrase hat in Deutschland einen ebensolchen Kultstatus erlangt wie das Originalintro. Auch ohne die kulturspezifische Mehrdeutigkeit des Originals gelingt es ihr, die Weite und Faszination des Kosmos mit wenigen Worten spürbar zu machen – ein exzellentes Beispiel für erfolgreiche sprachliche Lokalisierung.

    Ausblick: Die Zukunft der Lokalisierung

    Bildquelle: Unsplash

    Nicht selten wird beklagt, dass Globalisierung die kulturelle Vielfalt unserer Welt bedroht.

    Einen zentralen Beitrag dazu leisten globale Mega-Konzerne wie Starbucks, Apple & Facebook, die unser Konsum- und Freizeitverhalten entscheidend prägen. Manche Medien spekulieren deshalb sogar, ob uns in ferner Zukunft eine homogene Weltkultur erwartet.

    Diese Prognose hängt nicht zuletzt mit dem Phänomen der kumulativen Kultur zusammen. Denn was den Menschen vom Tier unterscheidet ist, dass wir Wissen dokumentieren – einst auf Papyrus, heute in der Cloud – und von Generation zu Generation weitergeben, um den langfristigen Fortschritt unserer Spezies zu sichern.

    Dieses gesammelte Wissen wird auch mit Gruppen außerhalb des eigenen Kulturkreises geteilt – meist nicht aus rein selbstlosen Motiven, sondern um von den erzielten Synergieeffekten zu profitieren. Auf diese Weise entsteht im Zuge der Globalisierung „kulturelle Kontamination“.

    Doch braucht es in diesem kulturellen Mischmasch dann überhaupt noch Lokalisierung?

    Die Antwort lautet: Ja, absolut!

    Denn gleichzeitig schafft der Mensch auch stetig neue Kulturen, die ihre Identität durch Abgrenzung nach außen definieren. Diese kulturellen Identitäten mit ihren unterschiedlichen Narrativen und Werten sind heute nicht länger nur lokal verortet, sondern verlaufen dank der Globalisierung und dem Internet kreuz und quer über geographische Grenzen hinweg.

    Auch die gegenwärtigen politischen Entwicklungen lassen eine zunehmende Homogenisierung der menschlichen Kultur unrealistisch erscheinen.

    Zum einen wird die drohende Ressourcenknappheit territoriale Streitigkeiten weiter verschärfen und internationale Kooperation behindern. Zudem befeuert die anhaltende Migration von ärmeren in reichere Länder, zusätzlich angetrieben durch den Klimawandel, nationalistische Ressentiments und erschwert ein Zusammenwachsen der Weltgemeinschaft.

    Wir können also festhalten: Die Welt bleibt vielfältig – im Guten wie im Schlechten. Und selbst große Weltkonzerne werden es sich auch in Zukunft nicht leisten können, ihre Produkte ganz ohne Lokalisierung in einzelnen Ländern zu vertreiben.

    Johannes Rahm

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    Johannes ist ein erfahrener Übersetzer, Copywriter und SEO-Spezialist, der seit über einem Jahrzehnt in der Lokalisierungsbranche aktiv ist. Sein Fokus liegt dabei auf der Übersetzung von Marketing-Content für führende B2B-Unternehmen in der DACH-Region. Trotz seiner Passion für Science Fiction hält er die menschliche Sprache auch im Zeitalter von KI für unsere mächtigste „Technologie“ und erkundet fortlaufend ihr Potenzial, Menschen und Organisationen zusammenzubringen und zu inspirieren.